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   In letzter Sekunde ist das eigentlich schon verabschiedete Waffengesetz vom Bundesrat gestoppt worden. Eine weitere Verschärfung, die vor dem Amoklauf von Erfurt allenthalben abgelehnt wurde, soll jetzt verhindern, dass so etwas in Zukunft wieder passiert.
 
   Nun also die Schützen. Als tumbe „Ballermänner“ („Der Spiegel“) diffamiert, sollen sie an die Kandare genommen werden, weil Verbrecher häufig Schusswaffen benutzen. So wie ausländische Studenten unter eine verfassungsrechtlich bedenkliche Rasterfahndung fallen, damit sich der 11. September nicht wiederholt. So wie niemand heute mehr seinen Pudel von der Leine lassen darf, damit keine Kinder mehr tot gebissen werden.

   Im Klima allgemeiner Wut, Betroffenheit und Ratlosigkeit, das auf von Menschen verursachte Katastrophen folgt, ist es für Politiker in einer Mediendemokratie so gut wie unmöglich, nichts zu unternehmen; rundheraus zuzugeben, dass es sich um singuläre Ereignisse handelt, die sich immer und überall wiederholen können. Gegen die es keinen unmittelbaren Schutz gibt. Aus denen erst nach sorgfältiger Analyse Lehren und Konsequenzen gezogen werden können.

   Reflexartig werden Gesetze und noch schärfere Gesetze angekündigt - als gäbe es eine Möglichkeit, Kurzschlüsse in Menschenhirnen zu verbieten. Suggestive Umfragen in aufgeheizter Atmosphäre geben den „Machern“ scheinbar Rückenwind. Der kollektiven Illusion der Beherrschbarkeit aller Lebensrisiken, der Sehnsucht nach einfachen, wirksamen Lösungen kann sich kaum jemand entziehen. Dabei fällt es der Mehrheit leicht, über Minderheiten zu richten. Sie steht, mangels Kenntnis der Materie und Verständnis für die Interessen anderer, natürlich immer hinter Gesetzen, die die Freiheiten einzelner Gruppen unter einem populären Vorwand einschränken.

   Wer heute nach Auflagen für seinen Nachbarn ruft, kann aber morgen selbst betroffen sein. Es gibt kaum ein Individualinteresse, das nicht als Beeinträchtigung anderer ausgelegt werden kann, einen spektakulären Anlass vorausgesetzt. Man denke nur an die brutalen Ausschreitungen im Dunstkreis von Fußballspielen oder die grauenhaften Unfälle zu Beginn jeder Motorradsaison. Kein Wunder ist hingegen, dass es ähnliche Bestrebungen nach dem Unfalltod des Sohnes des Kölner OB, verursacht durch PS-verliebte junge Männer, nicht gegeben hat: Autofahren ist schließlich Volkssport.

   Eine Gesellschaft, die scheinbar wahllos Verbote ausspricht, deren Gesetzgebung sich an den aktuellen Schlagzeilen orientiert, ist eine zutiefst unfreie. Sie misst ihre Bürger an Maßstäben, die von Psychopathen und Kriminellen gesetzt werden. Sie traut ihren Menschen Verantwortungsbewusstsein, Augenmaß und vor allem persönliche Integrität nicht mehr zu. Dabei gibt es niemals einen absoluten Schutz vor dem „Faktor Mensch“.
 
   Sämtliche Gesetzesverschärfungen gehen an den eigentlichen Ursachen der auslösenden Ereignisse vorbei. Robert Steinhäuser wurde in Erfurt nicht zum Massenmörder, weil er Sportschütze war, sondern weil er, völlig vereinsamt, durch sämtliche Raster gefallen war - unter den Augen von Eltern, Lehrern und Behörden. Das World Trade Center stürzte nicht ein, weil junge Leute aus aller Welt in Deutschland unbehelligt studieren dürfen, sondern aus Gründen, die so kompliziert sind, dass die Welt darüber noch lange zu diskutieren haben wird. Der kleine Volkan wurde nicht totgebissen, weil manche Leute Hunde mögen, sondern weil die Hamburger Behörden vor der Chuzpe eines Kriminellen kapitulierten, der jahrelang in aller Öffentlichkeit mit seinem Kampfhund als Waffe protzte.

   Immer feiner ziselierte Gesetze werden neue Katastrophen nicht unterbinden, weil sie stets nur die ohnehin Gesetzestreuen treffen. Daneben wächst stetig eine Parallelgesellschaft, die von Polizei und Verwaltung weitgehend in Ruhe gelassen wird - ob aus Bequemlichkeit oder Personalmangel spielt im Ergebnis keine Rolle.

   Es ist einfach, billig und verkauft sich gut, registrierten Sportschützen, eingeschriebenen Studenten oder steuerzahlenden Hundehaltern immer neue Vorschriften zu machen. Den Kampf gegen die Flut illegaler Waffen, die sich jeder über ein paar Kontakte besorgen kann, aufzunehmen, Jugendlichen rechtzeitig Hilfe und Orientierung anzubieten, die Veranstalter der lukrativen Hundekämpfe zu verfolgen oder die Ursachen des Terrors zu bekämpfen ist hingegen eine Sisyphos-Arbeit. Sie erfordert erheblichen finanziellen und personellen Einsatz sowie Phantasie und Bereitschaft zum Umdenken und zeitigt erst langfristig Erfolg - wenn überhaupt.

(Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger Vermischtes 3.6.2002 16:41 Autorin: Jutta Vossieg)