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Die Verpflichtung, einen Hund außerhalb des eigenen Wohnbereiches ausschließlich an der Leine und mit Maulkorb zu führen mag auf den ersten Blick als sinnvolle Maßnahme im Rahmen der Gefahrenabwehr erscheinen. Es gibt aber eine Reihe von Argumenten aus dem Bereich des Tierschutzes aber auch der Gefahrenabwehr, die gegen eine solche Maßnahme im Rahmen der  allgemeinen Prävention sprechen.

Leinenzwang:

Ein ständiger Leinenzwang macht es dem Hund unmöglich, sein art- und im  Einzelfall auch sein rassetypisches Bewegungsbedürfnis auszuleben. Eine Bewegung ausschließlich an der Leine  ist somit nicht als artgerechte Haltung anzusehen und stellt  einen  Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar.

Durch die fehlende Befriedigung des Bewegungsbedürfnisses kommt es zu einem Sinken der Reizschwelle. Hunde, die sich ausschließlich an der Leine bewegen dürfen, werden somit in jedem Fall gefährlicher als Hunde, die sich ausreichend bewegen können. Es ist daher damit zu rechnen, dass  der Anteil von  Bissvorfällen mit Hunden durch generellen Leinenzwang eher steigt als sinkt, wobei voraussichtlich in erster Linie Bissvorfälle in der eigenen Familie, die ja auch jetzt schon den größten Anteil an Bissvorfällen ausmachen,  gehäuft auftreten werden.

Die Aggressionsbereitschaft von Hunden, die an der Leine geführt werden, ist  höher als bei frei laufenden Hunden. Dafür sind im wesentlichen  zwei Ursachen  verantwortlich.

1.) Hunde, die durch die Leine festgehalten werden, haben weniger Möglichkeit  einer für den
     Hund bedrohlich erscheinenden Annäherung  durch  Menschen andere Hunde oder Objekte
     auszuweichen.  Bei zu starker Annäherung kann es dadurch zu ansonsten vermeidbarer
     Verteidigungsaggression kommen.
2.) Hunde, die an der Leine geführt werden, fühlen sich durch den Besitzer am anderen Ende der
     Leine gestärkt.  Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sie eine Auseinandersetzung mit
     einem anderen Hund, der sie ansonsten aus Gründen der Selbsterhaltung ausweichen würden,
     annehmen, was wiederum eine vermeidbare Gefahrensituation  zur Folge hat.

Maulkorbzwang:

Ein ständig getragener Maulkorb schränkt wesentliche physische und psychische Funktionskreise ein:

Thermoregulation: ein Großteil der Thermoregulation  des Hundes findet über  das Hecheln statt, durch das eine Luftbewegung  im Bereich der vorderen Atemwege erzeugt wird, die zu einer Kühlung  des Blutes in den stark durchbluteten Nasenhöhlen  führt.  Fehlende Möglichkeit zum Hecheln führt insbesondere in der warmen Jahreszeit zu einem  Wärmestau,  der insbesondere bei älteren  Hunden oder bei Hunden mit einer bestehenden Erkrankung des Herz- Kreislaufsystems  bis zum Tod führen kann. 

Passform:  Bei nicht ideal passendem Beißkorb kommt es zu Druckstellen bzw. zu Scheuerverletzungen der Haut,  die  allenfalls das weitere Tragen eines Beißkorbes unmöglich machen  und damit, bei strenger Auslegung des Beißkorbzwanges ein Ausführen des Hundes nicht mehr  möglich erscheinen lassen.

Beide Aspekte sind als Verstöße gegen das Tierschutzgesetz  anzusehen.

Verhaltensphysiologische Aspekte:

Ein wichtiger Bestandteil der innerartlichen Kommunikation zwischen Hunden  stellt die Mimik dar.  Ein Maulkorb  ist in diesem Sinn als eine Art Maske anzusehen,  Hunde können gegenseitig ihre Mimik nicht mehr genau erkennen und daher auch nicht richtig interpretieren, was  zu Missverständnissen zwischen Hunden  und damit allenfalls wiederum zu vermeidbaren Konflikten führen kann. Da eine sehr häufige Ursache von Verletzungen von Menschen durch Hunde das Eingreifen in eine Auseinandersetzung zwischen zwei Hunden ist, wird somit durch  die Maßnahme eines ständigen Maulkorbzwanges die von Hunden ausgehende Gefahr  in diesem Bereich erhöht.  Zudem ist  damit ebenfalls  ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gegeben.

Hunde erleben ihre Umwelt in erster Linie über ihren Geruchssinn; ihre Methode die Gerüche ihrer Umgebung aufzunehmen besteht im Erschnüffeln dieser Umgebung. Durch einen Maulkorb sind die Hunde massiv im Schnüffeln beeinträchtigt,  was zu einer Reizverarmung führt und damit eine wesentliche Beeinträchtigung einer artgemäßen Lebensqualität darstellt.  Auch auf dieser Basis  stellt somit ein genereller Maulkorbzwang einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar.

Leinenzwang in definierten Bereichen  ist somit  nur vertretbar, wenn  genügend  Plätze  zur Verfügung stehen, an denen sich Hunde frei bewegen können.

Maulkorbzwang ist  nur bei gesunden Hunden und zeitlich bzw. örtlich befristet vertretbar, ein genereller Maulkorbzwang im Einzelfall sollte wenn überhaupt nur als letzte Möglichkeit  der Sicherung von tatsächlich als gefährlich erkannten Hunden eingesetzt werden und auch in diesen Fällen nur zeitlich befristet  bis zur Absolvierung einer korrigierenden Ausbildung.


A. Univ. Prof. Dr. Irene Stur                                                             Wien, 19. Oktober 2000
Institut für Tierzucht und Genetik
Veterinärmedizinische Universität
A   12 10 Wien, Veterinärplatz 1
Tel 01/25077/5626
Fax 01/25077/5693

(Anm.: Die Stellungnahme liegt im Original vor)