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   Der Paragraph des bundesdeutschen Tierschutzgesetzes, der sich mit der Haltung, Pflege und Unterbringung von Tieren auseinandersetzt, ist der Paragraph 2, die sogenannte Tierhalternorm. Er besagt, dass derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss; er darf die Möglichkeit des Tieres zu artgenmäßer Bewegung nicht so einschränken, dass diesem Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.

   Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber den neueren Erkenntnissen der Verhaltensforschung Rechnung getragen. Die Begriffe Leiden und Schäden sind dabei keineswegs allein an körperliche Schäden gekoppelt auszulegen: „Leiden ist auch für Tiere eine vom Individuum erfahrbare Befindlichkeit" (Tschanz, 1981), was bedeutet, dass Hunde als Lauftiere mit einem (rasseabhängig, aber auch interindividuell unterschiedlich stark) ausgeprägten Bewegungsdrang leiden, wenn ihrem angeborenen Bewegungsbedürfnis, wie im Falle eines Leinenzwangs (Anleinpflicht), so gar nicht Rechnung getragen wird. Der Begriff „artgemäß" ist dabei so zu verstehen, dass auch die rassespezifischen Unterschiede innerhalb einerr Art zu berücksichtigen sind. Diese Unterschiede sind gerade in Bezug auf Haushunde beträchtlich.

   Für ausgesprochene Laufhunde, wie etwa die Siberian Huskies, viele Jagdhunderassen, Terrierrassen und natürlich die Windhunderassen, zeigt sich diese „Eigengesetzlichkeit" ihrer angeborenen Verhaltensweisen sehr früh in der Entwicklung, was eindeutig als Indiz für ein Bedürfnis, dem in der Haltung und Behandlung (Laufmöglichkeit) Rechnung zu tragen ist, gewertet werden muss (siehe: Feddersen-Petersen, Hunde und ihre Menschen, Franck-Kosmos).
Für etliche Rassen würden mit einer Ausdehnung des Leinenzwangs im Stadtbereich die Mindestansprüche bezüglich ihrer rassegerechten Haltung und Behandlung auf das empfindlichste missachtet werden, was als schwerer Verstoß gegen den Paragraphen 2 des Tierschutzgesetzes zu werten ist.

Was geschieht für das Tier?

   Wenn zielorientierte Verhaltensweisen (die angeboren sind) ihre angestrebten Funktionen nicht erfüllen können - Beispiel: der Hund ist laufmotiviert, wird jedoch an der Leine geführt oder er befindet sich überwiegend im Zimmer -, sind reaktiv letztendlich Verhaltensstörungen programmiert:
   Bei einer Entkopplung von Zielen und Funktionen müssen die Verhaltensbedürfnisse unbefriedigt bleiben und die Anpassungsfähigkeit solcher Tiere, die darin nach anderen Verhaltensstrategien suchen, die erfolglos bleiben, wird überfordert. Schließlich werden Verhaltensstörungen manifest, die als missglückte Anpassungsversuche des Hundes aufzufassen sind, sozusagen als Ersatzlösung für das verhinderte Erreichen des angestrebten Zieles (Beispiel: Zerstörung der Wohnungseinrichtung oder Entwicklung von zwanghaften Verhaltensweisen (Stereotypien), etwa ständiges Bellen u.v.a.). Solche Störungen resultieren immer dann, wenn Tiere missglückte Anpassungsversuche an völlig artwidrige Umweltbedingungen unternehmen, quasi versuchen, in eine neue Reizsituation zu gelangen, somit einen Ausgleich über das Appetenzverhalten suchen. Stets angeleinte Hunde sind deshalb insgesamt angespannter und unausgeglichener, sie fordern so auch weit häufiger Rangauseinandersetzungen heraus als freilaufende Artgenossen. Einige sind aggressiv, andere extrem unsicher, wodurch wiederum Gefahrenmomente („Angstbeißen") entstehen können.

   Hinzu kommt, dass alle Hunde hochsoziale Lebewesen sind, die durch Leinenzwang daran gehindert werden, sich in artgemäßer Weise mit anderen Hunden auseinander zu setzen (Imponiergesten, Umeinanderlaufen, Anal- und Nasalkontrolle, Sozialspiele u. v. a. werden erschwert oder behindert oder ganz unmöglich gemacht - und immer ist der Mensch dabei und beeinflusst seinen Hund, der durch diesen „verlängerten Arm" zum dominanten Menschen in der Regel angriffsbereiter ist als unbeeinflusst!).

   Hunde müssen lernen, miteinander umzugehen. Wie sollen sie das, wenn sie stets oder überwiegend angeleint sind? So ist es nicht erstaunlich, dass unter angeleinten Hunden stets die ausgeprägtesten Aggressionen zu beobachten sind. Es kommt zu einem sozialen Erfahrungsentzug, der als Folge dann wirklich bissige Hunde erzeugen kann (siehe: Feddersen-Petersen, Hunde und ihre Menschen). Das Gegenteil der Absicht wird also erreicht - Problemhunde werden geschaffen. Eine „Beherrschung" eines Hundes allein durch das Anleinen ist abzulehnen: Hundehalter mit gut sozialisierten und an Artgenossen wie Menschen gebundenen Tieren brauchen ihre Hunde nicht dauerhaft anzuleinen. Ihre Hunde reagieren vorhersagbar. Was aber geschieht, wenn sich gestörte, an der Leine zerrende, unsichere Hunde, die Artgenossen nie richtig kennengelernt haben, losreißen? Dann sind Beißereien vorprogrammiert.

   Ein gut sozialisierter und gut dominierter (erzogener) Hund macht, auch wenn er groß ist, keine Probleme beim Führen im Großstadtbereich, wo man ihn vernünftigerweise in der Innenstadt etwa an die Leine legen sollte (das ist ja auch kein Anleinzwang!). Er sollte jedoch stets gut ausgelastet sein (sich austoben, laufen) und nur danach in die Stadt geführt werden, wenn es denn nötig ist. Kleine unerzogene Hunde an der Leine oder auf dem Arm fordern große oft zum Angriff heraus. Auch auf Besitzer von Zwergrassen sollte dahin gehend eingewirkt werden, dass sie ihre Hunde erziehen.

Dr. Dorit Feddersen-Petersen
Fachtierärztin für Verhaltenskunde / Ethologin, Kiel

(Quelle: "Leinenzwang, eine Fessel für den Hund" – Interessengemeinschaft Deutscher Hundehalter e.V.)